Achtsam auf die kleinen Dinge – Friedrich Cerha als bildender Künstler

Doppelbegabungen waren das Thema der Donaueschinger Musiktage 2014. Den Komponisten Friedrich Cerha konnte man dort von einer weithin unbekannten Seite entdecken.

Bei über 900 bildnerischen Werken – überwiegend Malereien und Collagen, aber auch Arbeiten in Stein –, die zeitgleich mit dem musikalischen Schaffen über viele Jahrzehnte hinweg entstanden sind, muss man bei ihm fast von einem künstlerischen Doppelleben sprechen. In Donaueschingen waren nun beide Seiten des Künstlers Friedrich Cerha zu erleben.

Am 17. Oktober stand die Uraufführung seines Orchesterwerks Nacht auf dem Programm des Eröffnungskonzerts mit dem SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg unter der Leitung von Emilio Pomàrico. Zudem bot eine Werkschau mit bildnerischen Arbeiten einen Einblick in das „andere“ Leben des Komponisten, das vorwiegend im Privaten stattgefunden hat und zuvor lediglich in drei Ausstellungen zu sehen war. Im folgenden Text, der 2012 für die dritte dieser Ausstellungen in Waidhofen geschrieben wurde, gab Friedrich Cerha Auskunft über sein Schaffen als bildender Künstler.

Ich hatte schon als Kind eine besondere Beziehung zu den kleinen Dingen, die uns umgeben. Und alle, die ich schön und anziehend fand, habe ich gesammelt: Steine, Wurzeln, altes Holz, Metallteile, Samen, Baumrinde, Münzen… und ich habe mit ihnen gelebt.

Dem Menschen von heute ist die „Achtsamkeit“ (welch ein altmodisches Wort!) auf das, was ihn umgibt, oft verloren gegangen. Viele Dinge gebraucht er, ohne sie näher zu beachten. Und wenn er sie nicht mehr braucht, wirft er sie „achtlos“ weg.

Ich habe schon früh versucht, solche gefundenen Objekte in meine bildnerische Arbeit zu integrieren – noch bevor ich von Objekt-Kunst gehört hatte. Eigentlich habe ich mein ganzes Leben bildnerisch gearbeitet, außer von meinem sechzehnten bis zum zweiundzwanzigsten Lebensjahr. Schuld daran war nicht der Krieg, sondern vor allem mein Zeichenlehrer am Gymnasium, der mich untalentiert fand, weil ich die perspektivische Ansicht einer Felsformation falsch gezeichnet hatte. Dieses Urteil hat mich so getroffen, dass ich „verstummte“.

Nach dem Krieg (aus dem ich zweimal als Soldat desertierte) begann ich zu aquarellieren. In den 50er Jahren hatte ich enge Kontakte zum Art Club, wo ich als Geiger mit Hans Kann neue Musik gespielt habe und es begann damals eine lebenslange Freundschaft mit Hans Fruhmann und Karl Prantl, die mich sehr befruchtet hat.

Ein wichtiges Jahr war für mich 1958. Ich durfte bei der Brüsseler Weltausstellung vor internationalem Publikum die Wiener Schule (Schönberg, Webern, Berg) vertreten und es bot sich die Gelegenheit, die Ausstellungen, die eine Reihe von Nationen präsentierten, intensiv zu besuchen. Ich setzte mich mit der französischen Malerei der 40er und 50er Jahre auseinander und lernte afrikanische Malerei und Skulptur kennen. Ich war fasziniert von den Montagen eines Schwitters – dem fühlte ich mich verwandt – und ich bewunderte die Arbeiten eines Bracusi, eines Pevsner und Naum Gabo.

1963 begann ich, auf Holz zu malen, Metall, Steine und gefundene Objekte in meine Bilder einzubeziehen; in den 70er Jahren fing ich auch an, in Stein zu arbeiten.

An einigen Punkten hat sich meine bildnerische Arbeit mit meiner kompositorischen berührt. Aus der Zeit, in der ich am III. Akt von Bergs Lulu arbeitete, gibt es ein Bild Jack the Ripper und aus der Zeit der Entstehung meiner Oper Baal zwei Bilder: Baals Frauen und ein Bildnis des Baal. Einmal hat mein bildnerisches Arbeiten auch mein kompositorisches angeregt: im Ensemblestück Catalogue des objets trouvées.

Natürlich gibt es in dem nun fast 50-jährigen Schaffen seit 1963 Entwicklungen, Wandlungen, Wiederaufnahmen und Neugestaltungen von Ideen. Die Auswahl für die gegenwärtige Ausstellung bevorzugt geometrische, konstruktive Anordnungen, die sich in verschiedenen Perioden meines Arbeitens in verschiedener Weise immer wieder finden. In vielen Bildern gibt es neben der Strenge der Anordnung in der Ausführung einen Rest von Imperfektion, der mir willkommen und wichtig ist, weil er das lebendige Tun und damit die natürliche menschliche Unzulänglichkeit sichtbar werden lässt.

Ich habe in meinem langen Leben im Zusammenhang mit meinem kreativen Schaffen niemals karrieristische Ambitionen gehabt. Das künstlerische Arbeiten kam immer aus einem lebendigen Bedürfnis; ich musste arbeiten, so wie ich atmen muss. Musik muss erklingen, um wahrgenommen zu werden, und das hatte in meinem Fall so etwas wie eine internationale Karriere im Gefolge. Meine bildnerischen Arbeiten wurden – ohne mein Bemühen – nur sporadisch gezeigt, einmal in Salzburg und einmal in Graz, aber natürlich freue ich mich über das Bestreben, sie für Interessierte sichtbar werden zu lassen.

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