mit Viola
Metren
Perpetuum mobile
Lamento
Choral
Ich habe den Klang der Bratsche immer besonders geliebt und obwohl in meiner Jugend die Geige mein Hauptinstrument war, habe ich in der Kammermusik gern zur Bratsche gegriffen und mir eine Sonate für Bratsche und Gitarre und eine für Bratsche und Klavier (1951) geschrieben. Der Plan, ein Bratschenkonzert zu machen, ist uralt, aber erst 1993 kam es zu einer Realisation.
Dem Werk liegt eine Zwölftonreihe zu Grunde, aus der Akkordreihen gebildet wurden. Aus diesen wurden Gruppen von Tönen - hauptsächlich Sechstongruppen - entnommen, die das eigentliche (also nicht mehr zwölftönige) Material darstellen. Der erste Satz paraphrasiert sehr frei dieses Verfahren. Ich habe ihn Variationen genannt, weil er dabei Abschnitte von eigener, gegensätzlicher Charakteristik ausprägt. Im zweiten Satz - Metren - sind verschiedene Metren gegenübergestellt. Um sie im Hören kenntlich zu machen, wurden jeweils Ketten von gleicher Dauer bevorzugt, wie dies grundsätzlich schon im Ensemble-Stück „Für K“ aus dem gleichen Jahr der Fall war. In der Mitte des Satzes gibt es einen Ruhepunkt, aus dem heraus sich eine kleine Kadenz der Bratsche entwickelt, bevor das Spiel mit den Metren seine Fortsetzung findet.
Der dritte Satz entspricht jenem rasenden Perpetuum-mobile-Typ, der mich zu dieser Zeit mehrfach beschäftigt hat; hier wird das Geschehen durch Pizzicati des Kontrabasses rhythmisch konturiert.
Der vierte Satz, Lamento, ist eine breit angelegte Phantasie, in deren Mitte es zu einer Erinnerung an das Tutti kommt, mit dem das Stück beginnt. Der Satz mündet in einen Choral, den fünften Satz, in dessen Verszeilen das einzige Mal unverhüllt die fünfstimmigen Akkorde auftreten, aus denen in den meisten Abschnitten das Tonmaterial entnommen wurde. In den Zwischenspielen zwischen den einzelnen Verszielen wird die Solobratsche jeweils durch ein solistisches Streichinstrument unterstützt. Eine Ostinato-Bewegung der Solobratsche beendigt das Stück, dessen Sätze alle ineinander übergehen.
Noch ein Wort zur angeblichen Berg-Nähe des Bratschenkonzerts: Schon mein „Konzept für Streichorchester“ von 1947 - eine Zeit, in der ich noch keinen Ton von Berg kannte - zeigt, dass ein ausdrucksstarker, sich in weitgespannten melodisch-harmonischen Bögen manifestierender Grundgestus bei mir zu den tief verwurzelten, ureigenen Mitteln der künstlerischen Aussage gehört. Man neigt seit dem Wiederauftreten derartiger Phänomene in den Siebzigerjahren dazu, sogenannte „neoexpressionistische Tendenzen“ auch mit Bezeichnungen wie „Neo-Mahler“ oder „Neo-Berg“ zu belegen. Eine auch nur einigermaßen differenzierte Wahrnehmung des tatsächlich Komponierten verweist diese Art des Vorgehens in den Bereich absolut unzulässiger, hochgradiger Vereinfachung und Vergröberung. Espressivo per se ist weder Mahler noch Berg. Und das Konstituieren choralartiger Bildungen in meinem Stück hat nichts zu tun mit der Integration eines Bach-Chorals in Bergs Violinkonzert. Die Gefahr derartiger Fehlschlüsse war mir als einem Kenner der „Szene“ wohl bewusst, sie hat mich aber nicht zu einer Änderung meines Konzepts veranlasst.
Friedrich Cerha