Eine Art Chansons

Titel
Eine Art Chansons
für einen Chansonnier (mittlere Stimme, verstärkt), einen Schlagzeuger, Klavier und Kontrabass
Category
Vokalmusik
Gesang und Instrumentalensemble
Dauer
56:00
Anzahl Mitwirkende
4
Entstehung
1985
Uraufführung
1988-06-28
St. Pölten, Donaufestival · HK Gruber, Chansonnier · Kurt Prihoda, Schlagzeug · Rainer Keuschnig, Klavier · Josef Pitzek, Kontrabass
Satzangaben
hörprobe (Ernst Jandl)
sonett (Gerhard Rühm)
Zungentraining (Brigitte Peter)
klassisch (Hermann Jandl)
ein deutsches Denkmal (Ernst Jandl)
Kleines Gedicht für große Stotterer (Kurt Schwitters)
Wenn der Puls (anonym)
sieben kinder (Ernst Jandl)
Die Wühlmaus (Fred Endrikat)
etüde in f (Ernst Jandl)
doixannda (Ernst Jandl)
ich bekreuzige mich (Ernst Jandl)
lichtung (Ernst Jandl)
fragment (Ernst Jandl)
österreichisches fragment (Friedrich Cerha)
ich brech dich (Ernst Jandl)
thechdthen jahr (Ernst Jandl)
falamaleikum (Ernst Jandl)
wien: heldenplatz (Ernst Jandl)
13. märz (ernst Jandl)
keiner schließlich (Ernst Jandl)
vater komm erzähl vom krieg (Ernst Jandl)
koexistenz (Ernst Jandl)
was können sie dir tun (Ernst Jandl)
tür auf (Ernst Jandl)
haiku (Ernst Jandl)
kleeblattgasse (Ernst Jandl)
ich was not yet in brasilien (Ernst Jandl)
wenn es stinkt (Gerhard Rühm, Friedrich Cerha)
schwung (Ernst Jandl)
Zusatz
texts: Friedrich Achleitner, Ernst Jandl, Gerhard Rühm, Kurt Schwitters and others
Kommentare des Komponisten zum Werk

In den frühen Fünfzigerjahren stand ich – wie früher schon ausgeführt – mit einigen meiner Komponistenfreunden avantgardistisch gesinnten jungen Malern nahe, die sich im Art-Club gesammelt hatten; ihr Vereinslokal, der 'Strohkoffer', wurde aber auch von jungen Dichtern (H. C. Artmann, Gerhard Rühm, Konrad Bayer etc.) frequentiert, die später mit anderen (etwa Ernst Jandl) unter dem Begriff 'Wiener Gruppe' subsummiert wurden.

Ihre Sprachexperimente mit hochdeutschen Elementen, Dialekt, verballhornten Fremdsprachen oder auch Sprachfehlern waren mir also früh bekannt, ich hatte aber zu diesem Zeitpunkt keine konkreten Vorstellungen, um mich kompositorisch damit auseinander zu setzen. Stilistisch schloss diese Literatur natürlich an dadaistische Vorbilder an, auch u. a. an Schwitters (dessen Kleines Gedicht für große Stotterer ich übrigens in meinen Zyklus aufgenommen habe). Die meisten Gedichte aus den Fünfzigerjahren unterscheiden sich aber von Dadaistischem durch einen realen, erfahrbaren Hintergrund, auf dem sich die Verformungen vollziehen. Der Zyklus von 60 Miniaturen, in dem ich auf Grund meiner Erfahrungen nun dieses Material, das mich jahrzehntelang begleitet hatte, kompositorisch in die Hand nehmen und eine Methode entwickeln konnte, die Texte musikalisch überzeugend adäquat ihrer Sprache und ihrer Mentalität zu gestalten, ist vielschichtig. Er umfasst artistische Sprach- und Formspiele, Alltags-Satiren, Populär-Groteskes und Politisch-Zeitkritisches. Insgesamt hat es mich gereizt, an Stelle der gepflegten Aura des Lieds die Direktheit des Chansons anzupeilen, die sakrifizierten Bereiche der 'Großkunst' einmal hinter mir zu lassen, mich auf dem gefährlichen Terrain der 'Kleinkunst' zu bewegen und bei Wahrung des musikalischen Qualitätsanspruchs – teilweise spielerisch – Verhaltens- und Reaktionsweisen zu überspitzen, ins Absurde zu überdrehen oder auch das Schaurig-Banale an der Realität unmittelbar zu zitieren. Ich hoffe, ein Publikum zu finden, das mir auf dieser Gratwanderung mit Vergnügen – zuweilen auch mit Betroffenheit – folgt.

Von besonderer Bedeutung war mir der dramatische Aufbau des Zyklus. In seiner Mitte kristallisiert sich ein sehr ernsthaft zeitbezogener Abschnitt (Wien Heldenplatz, 13. März) heraus, später auch ein nostalgisch gefärbter (Kleeblattgasse). Gegen Ende häufen sich die Dialekttexte. Natürlich wird insgesamt immer wieder mit Zitaten, aber auch nur mit Modellanspielungen gearbeitet. Zugeschnitten ist das Ganze auf vier äußerst virtuose, intelligente Musikerfreunde, von denen der Komponist und 'Chansonnier' Heinz Karl Gruber weitere Anregungen gab.

Friedrich Cerha

Verlag