Streichquartett
UA: Wien, Konzerthaus · Hugo Wolf Quartett
Meine ersten drei Streichquartette sind in verhältnismäßig geringem zeitlichen Abstand zwischen 1989 und 1992 entstanden: die Komposition des vierten erfolgte erst neun Jahre später. Während im dritten Streichquartett die sechs Sätze in sich geschlossene Einheiten von kennzeichnenden Charakteren sind, sodass das zyklische Element im Vordergrund steht, gibt es im vierten zwar auch gegensätzliche Abschnitte – ich habe sie absichtlich nicht als Sätze bezeichnet -, aber es kommt zu vielfältigen Querverbindungen unter ihnen; durch Reminiszenzen, Allusionen und Reprisen wird die Einheit des Werks, über das Material hinaus, stärker betont, zumal die Abschnitte auch teilweise nahtlos ineinander übergehen. Eine sehr langsame Introduktion exponiert die charakteristischen Intervallfolgen des Stücks, dem in großen Teilen eine sechzehntönige Reihe zugrunde liegt (in der also sechs Töne in großem Abstand wiederholt werden).
Es folgt im fff ein längerer Furioso-Abschnitt, der in allen vier Instrumenten aus pausendurchsetzten Sechzehntel-Bewegungen besteht. Er macht – obwohl streng geordnet – einen chaotischen Eindruck. Nach etwa einer Minute bleibt ein Floskel von vierzehn Sechzehnteln hängen und wird im mf wiederholt; dann setzt sich das fff-Furioso fort.
Es kommt nun ein Prozess in Gang, in dem die Furioso-Abschnitte zwischen den sich wiederholenden Floskeln immer kürzer werden; ebenso wird die Anzahl der Sechzehntel innerhalb der Floskeln kleiner, die Zahl der Wiederholungen aber immer größer, bis schließlich eine nur mehr aus drei Sechzehnteln bestehende Floskel fünfzehnmal wiederholt wird. Es geht also beim Zuhörer um ein allmähliches Innewerden, ein Durchschauen eines prozessualen Verlaufs. Ein langsamer Abschnitt knüpft dann zunächst an die Introduktion an, die Bewegung beschleunigt sich aber und geht über in einen vorzüglich im pp gehaltenen raschen Teil im Zwölfachtel-Takt. Der Achtelbewegung wird häufig eine solche in punktierten Achteln – also eine Art von Quartolenbewegung – gegenübergestellt. Kleine plötzliche Inseln von f oder sogar ff-Stellen ragen aus dem pp heraus. Ab und zu lenken wellenartige Auf- und Abwärtsbewegungen in Quintolen-Sechzehnteln wahrscheinlich die Aufmerksamkeit auf sich.
Ein Ritardando leitet über zu einem dreiteilig angelegten, sehr langsamen 'Satz' (con sordino). In seinem ersten und dritten Abschnitt sind in allen Instrumenten unruhige, rasche Zweiundreißigstel-Figuren eingestreut. Im etwas bewegteren Mittelteil wird eine Tonfolge der ersten Violine und des Cellos von in Oktaven gehenden Vierteln durch eine Triolenachtel-Bewegung der beiden anderen Instrumenten begleitet.
Im nächsten größeren Formabschnitt des Stücks wird ein ruhiger Mittelteil von zwei Energico marcato bezeichneten Teilen umrahmt. Er ist insgesamt spiegelbildlich angeordnet und mündet in eine Reprise des Furioso-Abschnitts, in dem sich der oben beschriebene Prozess wiederholt, nur alles stark verkürzt und verknappt und natürlich nicht wörtlich. Das Ende ist völlig anders: Die fünfzehnmal wiederholte Dreiachtel-Floskel im weichen spiccato, sul ponticello führt hinüber in den 'von äußerster Ruhe' getragenen letzten Abschnitt, in dem einige rasche isolierte Figuren an den langsamen Mittel-'Satz' erinnern. Am Schluss klingt das Stück in gleichmäßigen langsamen Vierteln von zweiter Violine und Viola, denen in eigenem Tempo (vier Triolenachtel) pizzicati von erster Violine und Cello gegenüberstehen, aus.
Friedrich Cerha